Wenn sich die Maschinen plötzlich nicht mehr steuern lassen, die Produktion stillsteht und womöglich sogar Sicherheitssysteme ausfallen, bedeutet dies für Ihr Unternehmen Ausnahmezustand. Ein Cyberangriff auf Ihre Operational Technology (OT) kann schnell zum Albtraum werden. Anders als reine IT-Angriffe gefährden OT-Attacken nicht nur Daten, sondern haben weitreichende Folgen: Produktionsausfälle, Reputationsschäden und im schlimmsten Fall sogar die Gefährdung von Menschenleben. Was können Sie konkret tun, um Ihre OT-Security zu stärken? Dieser Beitrag liefert Antworten und praktische Sofortmaßnahmen.
Die unterschätzte Gefahr: Warum OT-Security für den Mittelstand kritisch ist
Die Zeiten, in denen Produktionsanlagen isoliert und „offline“ liefen, sind längst vorbei. Industrie 4.0, Remote-Wartung und vernetzte Fertigungsprozesse haben die Angriffsfläche für Cyberkriminelle erheblich erweitert. Die Realität zeigt: 75% aller OT-Angriffe (Studie von Telstra International) beginnen mit einer kompromittierten IT-Komponente, etwa durch Phishing-E-Mails oder unsichere Netzwerkverbindungen.
Für kleine und mittlere Unternehmen ist diese Entwicklung besonders problematisch. Anders als große Konzerne verfügen Sie oft nicht über spezialisierte IT-Sicherheitsabteilungen und begrenzte Ressourcen. Gleichzeitig laufen in vielen mittelständischen Betrieben jahrzehntealte Anlagen, die sich kaum patchen lassen und dennoch mit modernen Netzwerken verbunden sind – ein gefundenes Fressen für Angreifer.
Hinzu kommen neue gesetzliche Anforderungen: Mit Richtlinien wie NIS2 und dem Cyber Resilience Act verschärfen sich die rechtlichen Vorgaben erheblich. Meldepflichten binnen 24 Stunden und Bußgelder von bis zu 2% des Jahresumsatzes zeigen: OT-Security ist längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine rechtliche und wirtschaftliche Notwendigkeit.
Ihre größten Schwachstellen: Wo Hacker ansetzen
Bevor Sie Schutzmaßnahmen ergreifen, sollten Sie verstehen, wo Ihre vulnerabelsten Punkte liegen. Die häufigsten Angriffsvektoren sind:
- Legacy-Systeme ohne Updates: Viele produktionskritische Anlagen sind 20 Jahre oder älter und lassen sich nicht oder nur schwer aktualisieren. Diese Systeme wurden oft in einer Zeit entwickelt, als Cybersecurity noch kein Thema war.
- Standardpasswörter und schwache Authentifizierung: Unsichere Zugangsdaten sind nach wie vor ein Hauptproblem. Prüfen und optimieren Sie Ihre Passwortrichtlinien.
- Fehlende Netzwerksegmentierung: Viele Unternehmen verbinden IT- und OT-Netze direkt miteinander, ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen. Ein Angreifer, der ins Büronetzwerk eindringt, hat so direkten Zugang zur Produktion.
- Unsichere Remote-Zugänge: Wartungszugänge über VPN oder Fernwartungssoftware sind oft unzureichend abgesichert – ein beliebtes Einfallstor für Cyberkriminelle.
- Ungepatchte Schwachstellen: Eine Vielzahl aller OT-Zwischenfälle entstehen durch bekannte, aber nicht geschlossene Sicherheitslücken. Die sogenannten Patches, die dies verhindern könnten, sind Software-Updates, die Fehler beheben, Sicherheitslücken schließen oder die Leistung verbessern. Sie werden von Entwicklern bereitgestellt, um bestehende Programme oder Systeme zu aktualisieren und sicherzustellen, dass sie reibungslos und sicher funktionieren.
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7 Sofortmaßnahmen für mehr OT-Sicherheit
Die gute Nachricht: Auch wenn die Gefahrenlage sich zuspitzt und die Liste der potenziellen Schwachstellen lang ist, haben Sie die Möglichkeit, Ihre Systeme bereits mit kleinen Schritten einen großen Schritt sicherer zu machen. Die folgenden 7 Tipps zeigen Ihnen, wie Sie OT-Security in Ihrem Betrieb vorantreiben können.
Sie können nur schützen, was Sie kennen. Erstellen Sie eine Bestandsaufnahme aller Geräte in Ihrem OT-Netzwerk – von der SPS bis zum Industrierouter. Dokumentieren Sie dabei:
– Welche Systeme sind vernetzt?
– Welche Software-Versionen laufen auf den Geräten?
– Welche Kommunikationsprotokolle werden verwendet?
– Wer hat wann und wie Zugriff auf die Systeme?
Nur 26% der Unternehmen führen kontinuierliches OT-Monitoring durch – seien Sie nicht Teil dieser Statistik (SITS „The State of OT/ICS Security 2024).
Netzwerksegmentierung ist eine der wirksamsten und gleichzeitig kostengünstigsten Schutzmaßnahmen. Richten Sie separate Netzwerke für IT und OT ein und überwachen Sie die Übergänge gezielt.
Wo immer möglich sollten Sie Sicherheitsupdates zeitnah einspielen. Bei kritischen Produktionssystemen, die nicht gestoppt werden können, planen Sie Wartungsfenster und prüfen Sie Updates zunächst in einer Testumgebung. Für Systeme, die sich nicht patchen lassen, setzen Sie auf kompensatorische Maßnahmen wie zusätzliche Firewalls oder Zugriffskontrollen.
Führen Sie strenge Berechtigungskonzepte ein: Jede:r Benutzer:in sollte nur die Zugriffsrechte erhalten, die er oder sie für die Arbeit benötigt. Standardpasswörter gehören sofort geändert, und wo technisch möglich, sollten Sie eine Mehr-Faktor-Authentifizierung einsetzen. Dokumentieren Sie alle Zugriffe und überprüfen Sie regelmäßig, wer welche Berechtigungen hat.
Fernwartung ist praktisch, aber auch ein Sicherheitsrisiko. Setzen Sie auf sichere VPN-Verbindungen, starke Authentifizierung und zeitlich begrenzte Zugriffe. Überwachen Sie alle Remote-Sessions und protokollieren Sie, wer wann auf welche Systeme zugreift.
Ihre Mitarbeitenden sind sowohl Ihr größtes Risiko als auch Ihr wichtigster Schutz. Sensibilisieren Sie Produktionsmitarbeiter:innen für Cybersicherheits-Risiken und schulen Sie sie im Umgang mit verdächtigen E-Mails, USB-Sticks oder ungewöhnlichen Systemverhalten. Gerade in produktionsnahen Bereichen ist das Bewusstsein für IT- und OT-Sicherheit oft noch gering.
Entwickeln Sie einen Notfallplan speziell für OT-Vorfälle. Dieser sollte klare Zuständigkeiten, Kommunikationswege und Eskalationsstufen definieren. Testen Sie Ihren Plan regelmäßig und stellen Sie sicher, dass auch im Notfall alle relevanten Informationen verfügbar sind – auch offline.
Compliance: Was Sie über neue Vorschriften wissen müssen
Die regulatorischen Anforderungen für OT-Security werden drastisch verschärft. Mit der NIS2-Richtlinie müssen auch kleine und mittlere Unternehmen, die als Zulieferer in kritischen Sektoren tätig sind, strenge Cybersecurity-Standards für ihre industriellen Systeme einhalten. Besonders kritisch: OT-Sicherheitsvorfälle müssen binnen 24 Stunden gemeldet werden – bei Bußgeldern von bis zu 2% des Jahresumsatzes eine existenzbedrohende Frist. Gleichzeitig revolutioniert der Cyber Resilience Act die Anforderungen für Hersteller von OT-Komponenten: Industrielle Steuerungen, Sensoren und vernetzte Produktionsgeräte benötigen künftig eine Cybersecurity-Zertifizierung und müssen während ihrer gesamten Lebensdauer mit Sicherheitsupdates versorgt werden.
Für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet das: Dokumentieren Sie Ihre OT-Sicherheitsmaßnahmen systematisch, etablieren Sie klare Meldeprozesse für Produktionsstörungen durch Cyberangriffe und prüfen Sie, ob Ihre industriellen Komponenten den neuen Anforderungen entsprechen. Besonders Unternehmen in regulierten Branchen wie Pharma, Lebensmittel oder Energie sollten sich frühzeitig über branchenspezifische OT-Standards informieren. Betriebe, die die Vorschriften ignorieren, riskieren nicht nur empfindliche Strafen, sondern auch den Ausschluss aus Lieferketten, die zunehmend auf konforme OT-Systeme angewiesen sind.
Kleine Schritte, große Wirkung
OT-Security muss nicht komplex sein. Oft reichen schon grundlegende Maßnahmen wie eine saubere Netzwerktrennung, aktualisierte Zugangsdaten und geschulte Mitarbeitende, um das Sicherheitsniveau erheblich zu verbessern. Wichtig ist, dass Sie systematisch vorgehen. Beginnen Sie mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme Ihrer OT-Landschaft und priorisieren Sie dann die Maßnahmen nach Risiko und Umsetzbarkeit. Auch mit begrenzten Ressourcen können Sie Ihre Industrieanlagen deutlich sicherer machen – und damit nicht nur Ihr Unternehmen schützen, sondern auch rechtlichen Anforderungen gerecht werden.
Die Bedrohungslage wird nicht abnehmen, im Gegenteil: Cyberkriminelle werden ihre Angriffe weiter professionalisieren und vermehrt auf OT-Systeme abzielen. Wer heute in OT-Security investiert, schützt nicht nur sein Unternehmen, sondern sichert auch seine Zukunftsfähigkeit. Denn eines ist sicher: Ein Stillstand der Produktion durch einen Cyberangriff kostet am Ende deutlich mehr als präventive Schutzmaßnahmen.